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09.2025 - Aktuell | KI-Sehhilfe – KI, guck mal!

„mit freundlicher Genehmigung der Heise Medien GmbH & Co.KG“
Hinweis: Der Artikel erschien in der Ausgabe c't 16/2025
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Wie drei Studenten eine KI-gestützte Sehhilfe entwickeln

Szenenbeschreibung auf Knopf druck: Das Start-up Lunar will Menschen mit Sehbehinderung im Alltag helfen. Drei Studenten entwickeln eine Sehhilfe, die be schreibt, was zu sehen ist, und Fragen dazu beantwortet. – Von Greta Friedrich

Auf 12 Uhr liegen Äpfel, auf 2 Uhr Ap rikosen“, erklärt die KI-Stimme. Auf Nachfrage antwortet sie: „Die Aprikosen sehen gut aus. Achte aber trotzdem darauf, ob sie sich vielleicht matschig anfühlen.“ Die KI-Stimme gehört zu LunarVision, einer Sehhilfe, die drei Hamburger Stu denten derzeit entwickeln. Lukas Ganss, Alejandro Poiqui und Timon Pitz stellten ihr Start-up Lunar und ihr Produkt Anfang Juni im Landesbildungszentrum für Blinde (LBZB) in Hannover vor.
Zeigen konnten die Studenten ihr Gerät nicht, da sie den ersten Prototyp demontieren mussten, um ihn zu modi fizieren. Stattdessen demonstrierten sie Anwendungsfälle inklusive Audioauf nahme, unter anderem die Situation vorm Obstregal im Supermarkt. Das Hilfsmittel LunarVision soll aus drei Komponenten bestehen: einem kleinen Gerät mit integrierter Kamera, das am Kopf getragen wird, einem sogenannten Hub mit Prozessor und Akku, der zum Beispiel im Rucksack verstaut wird, sowie einem Knopf, über den man das Gerät aktiviert.
Auf Knopfdruck nimmt die Kamera ein Bild auf. Mithilfe von KI-Modellen wird dieses analysiert und das Ergebnis an schließend in gesprochenen Text umge wandelt. Das Gerät gibt eine kurze Sze nenbeschreibung aus und beantwortet Rückfragen. So könnte es im Restaurant zum Beispiel zunächst erklären, dass rechts vom Nutzer die Speisekarte auf dem Tisch liege, und anbieten, diese vorzule sen. Der Nutzer könnte dann die Karte nehmen und darum bitten, dass das Gerät nur die Nachspeisen vorliest.




Ein blinder Jugendlicher steht draußen vor einem Stand mit Obst und Gemüse, er trägt den Prototypen. Bildrechte: c't
Ein blinder Jugendlicher steht draußen auf einem Bahnhof, er trägt den Prototypen. Bildrechte: c't

Den ersten Proto typ ihres Hilfs mittels testeten die Studenten in verschiedenen Nutzungsszena rien, unter ande rem im Super markt und am (Bild: Lunar/Collage heise medien) Bahnsteig.


Vom Uniprojekt zum Start-up

Ursprünglich fanden sich die drei Lunar Gründer im Kurs „Digital Innovation Lab“ der Universität Hamburg mit anderen Kommilitonen zusammen. Ihre Aufgabe war es dort, ein Produkt aus Hard- und Software zu entwickeln, das dabei hilft, einige der UN-Ziele für nachhaltige Ent wicklung zu erreichen.
Die Produktidee kam ihnen, als Tre ckerdemonstrationen den ÖPNV in Ham burg behinderten. Eine blinde Kommili tonin erzählte ihnen, vor welche Probleme sie das im Alltag stellte, und die Studenten entschlossen sich, ein KI-gestütztes Hilfs mittel für Menschen mit Sehbehinderung zu entwickeln.
Für ihren ersten Prototyp SmartVision sprach die Gruppe mit Betroffenen. Be sonders wichtig war diesen, Schilder im öffentlichen Raum lesen und sich unab hängig orientieren zu können. Außerdem wünschten sie sich, das Gerät nicht per Sprache, sondern mit einem Schalter steu ern zu können, der sich nicht an der Seh hilfe selbst befindet.

Zu schwer, zu schwach

Im Sommer 2024 war der erste Prototyp fertig: ein 3D-gedrucktes Gehäuse mit Kamera und Raspi, das am Brillenbügel befestigt wurde, dazu ein externer Schal ter. Auf Knopfdruck nahm das Gerät ein Bild auf und gab eine KI-generierte Audio beschreibung aus.
Allerdings war das Gehäuse mit Raspi, Kamera und Akku zu schwer. Die Brille saß dadurch schief und brauchte ein Gegen gewicht am anderen Brillenbügel. Für die Bildanalyse war eine ständige Internetver bindung nötig und die Rechenleistung des Raspi kam an ihre Grenzen.
Trotzdem waren Pitz, Ganss und Poi qui positiv gestimmt und entschieden, ihr Produkt nach Abschluss des Kurses weiter zuentwickeln. Sie gründeten das Start-up Lunar, führten weitere Umfragen und Interviews mit Betroffenen durch und be gannen am zweiten Prototyp „LunarVi sion“ zu arbeiten.

Ziel: günstiger und besser

Es gibt bereits Produkte, die LunarVision ähneln. Relevant sind vor allem die OrCam von Help Tech und die Envision Glasses der niederländischen Envision Techno logies, erklärt Claas Proske, Leiter des Be reichs Koordination der Diagnostik des Funktionalen Sehens und Hilfsmittelbe ratung beim LBZB. Allerdings sind die beiden Geräte recht teuer, kosten jeweils zwischen 3000 und 4000 Euro. Das ist ein großes Problem für Menschen, die die ses Hilfsmittel nicht über einen Kosten träger finanziert bekommen, so Proske. Aus Interviews mit und Umfragen unter Betroffenen erfuhren die Lunar-Gründer außerdem, dass die beiden Hilfsmittel bei schlechtem Licht schwächeln.
Ziel von Lunar ist es daher, ein ähnli ches, aber deutlich günstigeres Produkt zu entwickeln. Außerdem soll es die Schwä chen der Konkurrenzprodukte möglichst ausmerzen: LunarVision soll auch bei schwachem Licht funktionieren, außerdem einen Offline-Modus und Over-the-air-Up dates bekommen. Via Bluetooth sollen Nutzer die Audioausgabe von LunarVision auch über Kopfhörer bekommen. Welches KI-Modell letztlich die Kamerabilder ana lysiert, soll variabel bleiben, da die Technik sich schnell entwickelt. (gref@ct.de) c't

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